Stoffwechselstörungen und Muskeldefekte

Konferenzbericht
Im Rahmen der EW Nutrition Poultry Academy im indonesischen Jakarta definierte Dr. Steve Leeson, emeritierter Professor der University of Guelph in Kanada, Stoffwechselstörungen wie folgt: Sie sind nicht ansteckend, treten bei entsprechender Ernährung unter „normalen“ Bedingungen auf und sind meist tierartspezifisch. Ihre Häufigkeit korreliert negativ mit der Produktivität. Obwohl die Genetik häufig eine große Rolle spielt, ist die genetische Selektion zur Bekämpfung des Problems oft der letzte Ausweg, da in der Regel eine negative Korrelation mit der Produktivität besteht.
Aszites
Aszites oder „Bauchwassersucht“ wurde erstmals in den 1970er Jahren beschrieben und ist heute wahrscheinlich die Stoffwechselstörung Nummer eins. Es handelt sich dabei um eine Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum. Sie wird verursacht durch eine Reihe von Ereignissen, die bedingt durch den hohen Sauerstoffbedarf der Gewebe stattfinden. Ursprünglich trat die Erkrankung vor allem bei schnell wachsenden männlichen Masthühnern auf, die in großen Höhen gehalten wurden und einem gewissen Kältestress ausgesetzt waren. Heutzutage kann das Problem jedoch in jeder Höhenlage auftreten. In Extremsituationen kann die Mortalität bis zu 8% betragen, meistens sind es jedoch 1–3%. Da höhere Wachstumsraten hauptsächlich dafür verantwortlich sind, tritt das Problem heutzutage wieder häufiger auf.
Um Aszites möglichst zu vermeiden, können folgende Maßnahmen ergriffen werden:
- Wachstumsrate begrenzen
- Futterbeschaffenheit (Breifutter besser als Pellets)
- Temperatur bei Tieren jeglicher Altersklasse niemals unter 15°C
- Ausreichende Lüftung – Frischluft vs. Temperatur
- Minimierung von Umweltschadstoffen wie Staub
- Lichtprogramme (4-6 Stunden Dunkelheit)
Plötzlicher Tod (Sudden Death Syndrome, SDS)
SDS betrifft fast immer männliche Tiere, die ihr Schlachtgewicht erreichen. Häufig sind 1–5 % des Bestandes davon betroffen und im Alter von 21–35 Tagen ist SDS normalerweise die Haupttodesursache. Betroffene Tiere machen einen gesunden Eindruck, sind wohlgenährt und haben stets Futter im Verdauungstrakt. Der Tod tritt innerhalb von 1–2 Minuten ein und die Tiere werden meistens tot auf dem Rücken liegend aufgefunden. Es gibt nur wenige Veränderungen in der makroskopischen Pathologie. Das Herz kann Blutgerinnsel enthalten, die aber wahrscheinlich erst postmortal entstanden sind; die Herzkammern sind normalerweise leer. Die Diagnose erfolgt normalerweise durch Ausschluss anderer Krankheiten. Die Lunge ist häufig ödematös. Dies kann auch als Folge der längeren Rückenlage der Tiere auftreten, wenn die Flüssigkeit durch die Schwerkraft in die Lungenregion abfließt. Spezifische Gewebe- oder Blutbildveränderungen, die eine Diagnose ermöglichen, sind nicht erkennbar. SDS wird durch schnelles Wachstum hervorgerufen, in diesem Fall ist aber eine Eindämmung des Problems durch Nährstoffbeschränkung in unterschiedlichem Ausmaß möglich.
Spiking-Mortalitätssyndrom (SMS)
SMS ist durch eine schwere, unerklärliche Hypoglykämie gekennzeichnet und tritt immer im Alter zwischen 18 und 21 Tagen auf. Da es nur wenige Obduktionsberichte gibt, kommt es häufig zu Fehldiagnosen. Die Sterblichkeit kann zwische 2 und 3% betragen. Männchen sind anfälliger als Weibchen, wahrscheinlich weil sie schneller wachsen. Tiere, die ausschließlich mit pflanzlicher Nahrung gefüttert werden, können anfälliger für SMS sein. Die Ergänzung einer rein pflanzlichen Fütterung mit Milchpulver (das reich an Serin ist), Kasein oder Serin wird empfohlen, da es zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels führt.
Gestörte Skelettintegrität
Diese Störung ist nicht auf das erhöhte Körpergewicht der Masthähnchen zurückzuführen, da diese in der Lage sind, Gewichte zu tragen, die ihr eigenes Körpergewicht bei weitem übersteigen. Vielmehr liegt es daran, dass sich der Schwerpunkt des Tieres durch das stärkere Wachstum der Brustmuskulatur nach vorne verschiebt und die Beine weiter auseinander bewegt werden, was einen Torsionsdruck auf den Oberschenkelknochenkopf ausübt. Neben den Problemen, die schon auf dem landwirtschaftlichen Betrieb auftreten, kommt es zusätzlich noch zu Komplikationen bei der maschinellen Verarbeitung im Schlachthof.
Ursachen für gestörte Skelettintegrität können eine unausgewogene Nährstoffversorgung, wie beispielsweise ein Überschuss an Chlorid, oder eine Infektion mit Bakterien, Viren und insbesondere Mykoplasmen sein.
Tibiadyschondroplasie (TD)
TD wird durch eine abnormale Knorpelentwicklung verursacht. Eine gestörte Gefäßversorgung verhindert die Mineralisierung. TD ist durch eine Vergrößerung des Sprunggelenks, verdrehte Mittelfußknochen und verrutschte Sehnen gekennzeichnet. Eine niedrige Elektrolytkonzentration (<200 MEq), hoher Chloridgehalt (>0,3 %) oder ein niedriges Ca:P- bzw. ein hohes P:Ca-Verhältnis können TD auslösen. Durch die Ergänzung der Ernährung mit Mangan und Cholin lässt sich das Problem weitestgehend beseitigen.
Perosis
Die Krankheit wird heute häufig als Chondrodystrophie bezeichnet. Die klassische Ursache ist Mangan- oder Cholinmangel, sie kann jedoch auch durch den Mangel an anderen B-Vitaminen auftreten. Wie bei TD können einige Getreidebegasungsmittel den Krankheitsverlauf verschlimmern.
Verdrehter Rücken oder Kinky Back-Syndrom
Bei dem auch als Spondylolisthesis bekannten Syndrom handelt es sich nicht wirklich um eine Stoffwechselstörung, da die häufigste Ursache eine Enterokokken-Infektion ist. Hühner mit Kinky Back-Syndrom sitzen häufig auf ihrem Schwanz, strecken ihre Füße nach außen oder lassen sie auf eine Seite ihres Körpers fallen. Wenn die Vögel aufgrund dieser Krankheit nicht mehr laufen können, sind sie nicht mehr in der Lage, selbständig Nahrung oder Wasser zu erreichen und es besteht die Gefahr, zu verhungern. Es gibt keine Behandlung für diese Krankheit.
Magenerosion und Drüsenmagen
Obwohl Läsionen im Muskelmagen sehr häufig sind, geht Dr. Leeson von einer Überbewertung ihrer Bedeutung aus. Muskelmagenerkrankungen kommen bei Legehennen und noch häufiger bei Masthühnern vor.
Der Zugang zu Grit und die Einbeziehung von mindestens 20 % Getreidepartikeln mit einer Größe über 1 mm in die Fütterung wirken sich positiv auf die Entwicklung und Funktion des Muskelmagens aus. Außerdem mindern sie Häufigkeit und Schwere von Muskelmagenverletzungen bei Geflügel. Auf Struktur und Funktion des Muskelmagens hat die Aufnahme nichtlöslicher Ballaststoffe nachweislich starke Auswirkungen. Die Zugabe von mindestens 3 % grobgemahlener Rohfaser zum Futter erhöhte das relative Gewicht des Muskelmagens und senkte den pH-Wert dessen Inhalts, was auf eine vorbeugende Wirkung von Rohfaser schließen lässt.
Mit einer Magenerosion wird häufig der Vormagen, ein sehr großes Organ, in Verbindung gebracht. Bei einer Erkrankung der Vormagendrüsen kommt es zu einer geringeren Sekretion von Salzsäure und Enzymen. Dadurch gelangt mehr unverdaute Nahrung in den Darm, wo sie als Nährboden für Krankheitserreger dienen und Verdauungsinfektionen auslösen kann.
Brustmuskeldefekte
Brustmuskeldefekte stellen weder für das Geflügel und für die Effizienz/Ökonomie des Wachstums noch für die Lebensmittelsicherheit ein Problem dar. Erst in der Primär- und Sekundärverarbeitung und für die Akzeptanz beim Verbraucher wird es zum Thema. Durch das schnelle Muskelwachstum und die vergrößerten Muskelzellen verkleinert sich der Abstand zwischen den Muskelfasern. Das führt zu einer eingeschränkten Blutversorgung der Muskeln, die damit nicht mehr den gewünschten Sauerstoffgehalt erreichen können.
White Striping
Weiße Streifen sind ein Qualitätsmanko bei Hähnchenbrustfleisch. Dabei handelt es sich um Fettablagerungen im Muskel, die während des Wachstums und der Entwicklung des Tieres entstehen. „Es ist wie die Marmorierung von rotem Fleisch“, scherzte Dr. Leeson „man sollte es als marmoriertes Huhn bewerben – wie Wagyu-Rindfleisch“. Da Hypoxie mit der Bildung weißer Streifen einhergeht, könnte man sich überlegen, ob eine Arginin-Ergänzung die Gefäßerweiterung fördern und so die Muskeln mit mehr Sauerstoff versorgen könnte.
Wooden Breast (WB) -“Holzbrust“
WB ist ein immer häufiger auftretender Qualitätsmangel. Makroskopisch ist es durch tastbare harte, blasse, kammartige Ausbuchtungen am kaudalen Ende gekennzeichnet, die in Verbindung mit klarer, zäher Flüssigkeit, kleinen Blutungen und weißen Streifen, einzeln oder zusammen, auftreten können. Hauptursache ist das schnelle Wachstum und der hohe Brustfleischertrag. Über die Fütterung oder das Management gibt es gegen diese Art von Muskelveränderung keine Lösung.
Wooden Breast kommt häufig bei männlichen Broilern mit einem Körpergewicht von über 2,5 kg vor und die Häufigkeit nimmt tendenziell mit der Größe des Brustfilets zu.
Während sich die Häufigkeit von Wooden Breast erhöht, ist White Striping tendenziell auf dem Rückzug. Aufgrund optischer Mängel und der harten, zähen Textur genießen WB-Filets nur eine geringe Akzeptanz beim Verbraucher. Sie werden in der Regel abgewertet und für die Hackfleischproduktion verwendet.
Durch die Reduzierung von oxidativem Stress und eine höhere Sauerstoffversorgung der Muskelzellen, die es ihnen ermöglicht sehr schnell und ohne Fleischeinbuße zu wachsen, kann die Häufigkeit von Wooden Breast reduziert werden.
Die EW Nutrition Poultry Academy fand Anfang September 2023 in Jakarta and Manila statt. Dr. Steve Leeson, anerkannter Experte für Geflügelernährung und -produktion und mit nahezu 50 Jahren Erfahrung in der Geflügelindustrie, war der geschätzte Hauptredner der Veranstaltung.
Dr. Leeson erlangte seinen Doktortitel in Geflügelernährung im Jahr 1974 an der Universität von Nottingham. 38 Jahre lang war er Professor des Lehrstuhls für Tier- und Geflügelwissenschaft an der Universität Guelph in Kanada, wo er seit 2014 als emeritierter Professor noch tätig ist. Der hervorragende Autor kann mehr als 400 Veröffentlichungen in referierten Fachzeitschriften und 6 Bücher über unterschiedlichste Aspekte aus Geflügelernährung und -management vorweisen. Er war Gewinner des “American Feed Manufacturer’s Association Nutrition Research Award” (1981), des “Canadian Society of Animal Science Fellowship Award” (2001) und des Novus Lifetime Achievement Award in Poultry Nutrition (2011).